Sea Point liegt wunderschön gelegen an der Atlantikküste und zählt zu den beliebtesten Stadtteilen für Touristen und digitale Nomaden. An der Promenade entlang zu spazieren oder zu joggen muss ein Traum sein. Ich wollte immer mal ins Schwimmbad, das direkt am Meer liegt, gehen, habe es aber noch nicht geschafft. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich Sea Point besonders gerne mag, aber ich würde natürlich trotzdem nicht ein Haus dort ablehnen, wenn es mir jemand schenken würde. Dann könnte ich morgens, bevor ich meinen Latte Macchiato trinke, erstmal noch einen zweifachen Rückwärtssalto mit Schraube vom 3-Meter-Turm des Schwimmbads machen. Außerdem hätte ich eine Reinigungskraft aus Khayelitsha, die morgens mehrere Stunden mit dem ÖPNV braucht, um nach Sea Point zu kommen. In Sea Point sind zwar 2090 Airbnbs gelistet, aber es gibt keine einzige Sozialwohnung.

Am 11.02.1966 wurde Sea Point als „white-only“-Stadtteil deklariert.1 Ab diesem Tag wurden Tausende Coloureds und Blacks vertrieben. 35 Jahre nach der Apartheid dürfen Coloureds und Blacks natürlich wieder in Sea Point wohnen, aber die Mietpreise sind viel zu hoch, als dass es sich die breite Masse der Coloureds und Blacks aus der Arbeiterklasse leisten könnte. Die Regierung in Kapstadt hatte seit dem Ende der Apartheid nicht den politischen Willen, die Ungerechtigkeiten aus der Apartheid rückgängig zu machen und Land der Coloured und Black Arbeiterklasse zurückzugeben. Auch Sozialwohnungen wurden nicht gebaut. Sea Point wurde zum Stadtteil der Reichen, der Touristen und digitalen Nomaden – ohne Platz für die Arbeiterklasse.

Nach Feierabend muss die Arbeiterklasse den Stadtteil leider verlassen, weil sie es sich nicht leisten kann, dort zu wohnen. Wenn ich auf Wohnungsportalen nach Mietwohnungen suche, beginnen die günstigsten Angebote bei 12.000 Rand (etwa 600 Euro) für knapp 30 Quadratmeter. Der Mindestlohn in Südafrika liegt bei knapp 5.000 Rand. Wie hoch das Gehalt einer Reinigungskraft oder Kellnerin ist, kann ich allerdings nicht einschätzen. Es gibt sogenannte „Dienstmädchenquartiere“, in denen Hausangestellte übernachten können. Meistens dürfen sie dort jedoch nicht mit ihrer Familie zusammen leben.

Mittlerweile tut sich zum Glück etwas in dem Stadtteil. Nach jahrelangem Kampf gibt es Pläne, Sozialwohnungen in Sea Point zu errichten. Im Jahr 2010 ist eine Schule in Sea Point (Tafelberg School) geschlossen worden und daraufhin als Standort für Sozialwohnungen diskutiert worden.2 Sechs Jahre später wollte die damalige Ministerpräsidentin des Western Cape, Helen Zille, das Grundstück möglichst teuer verkaufen. Daraus sollten dann Büros und teure Wohnungen entstehen, und die Arbeiterklasse wäre wieder leer ausgegangen. Diese Ungerechtigkeit wollten Wohnungsbauaktivist*innen der Initiativen Ndifuna Ukwazi (NU) und Reclaim the City (RTC) nicht akzeptieren, und die Kampagne #StopTheSale startete. Ich erinnere mich noch an den Kampf, weil mich das Thema damals schon so interessiert hatte, dass ich während eines Kapstadt-Urlaubs zu einem Treffen von Reclaim the City gegangen war.

Trotz Protesten und neun veröffentlichter Studien, die belegen, dass der Bau von Sozialwohnungen auf diesem Grundstück möglich sei, wollte Helen Zille das Grundstück verkaufen. Sie und ihre Regierung argumentierten gegen die neun Studien, dass der Bau von Sozialwohnungen nicht möglich sei. Das verdeutlicht wieder, dass Helen Zille und die Democratic Alliance (DA) die Ungerechtigkeiten der Apartheid bzw. die räumlichen Ungleichheiten aus der Apartheid nicht aufarbeiten möchten, sondern sie weiter bestehen lassen wollen: Weiße sollen in den schicken, zentralen Gebieten wohnen, Coloureds und Blacks aber nur in den Randgebieten.

Aus dem Verkauf des Grundstücks wurde allerdings nichts. Die Aktivist*innen klagten 2017 gegen den Verkauf, und 2020 entschied das Oberlandesgericht des Western Cape, dass der Verkauf des Grundstücks nicht rechtmäßig sei. Laut Gericht kommt die Regierung Kapstadts und des Western Capes ihrer Verpflichtung nicht nach, die räumliche Ungleichheit aus der Apartheid zu bekämpfen und Sozialwohnungen in zentralen Gebieten zu bauen. Ein Schlag ins Gesicht von Helen Zille und der Democratic Alliance – und ein großer Erfolg für Ndifuna Ukwazi und Reclaim the City sowie für Hausangestellte, Reinigungskräfte, Kellner*innen und andere, die seit Jahren für Sozialwohnungen in Sea Point kämpfen.

Nach dem Erfolg kam der Rückschlag. Helen Zille und die DA wollten die Sozialwohnungen unbedingt verhindern und zogen vor das oberste Berufungsgericht (Supreme Court of Appeal) – und gewannen. Der Verkauf war wieder rechtmäßig, weil es keine gesetzliche Verpflichtung gibt, Sozialwohnungen in bestimmten Stadtteilen zu bauen, solange die Behörden insgesamt ihrer Verpflichtung nachkommen, bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Damit war die Geschichte aber noch nicht zu Ende:

Das Verfassungsgericht wurde eingeschaltet: Der Kampf sollte vor dem obersten Gericht Südafrikas geklärt werden. Die Anhörung fand im Februar 2025 statt, das Urteil wurde jedoch aufgeschoben und ist bis heute nicht verkündet.3 Trotzdem gibt es gute Nachrichten:4 Mitte Mai hat die Regierung des Western Cape Pläne für Sozialwohnungen vorgestellt. Auf dem Grundstück sollen nun Sozialwohnungen, bezahlbare Wohnungen und teure Wohnungen entstehen. Drei Optionen wurden vorgelegt mit mindestens 63 Sozialwohnungen. Ich hatte natürlich gehofft, dass ausschließlich Sozialwohnungen auf dem Grundstück entstehen, aber am Ende muss ich mich wohl mit nur 50 % teuren Wohnungen zufrieden geben. Für mich als Außenstehenden kamen die Pläne überraschend, weil das Urteil des Gerichts noch nicht verkündet wurde, aber um so mehr freue ich mich darüber.

Es ist ein riesengroßer Erfolg für die Initiativen und die Arbeiterklasse. Der Kampf für Sozialwohnungen war lang und anstrengend, aber es scheint sich gelohnt zu haben. Zum ersten Mal wird es Sozialwohnungen in Sea Point geben! In ein paar Jahren werden Menschen in ihre neuen Wohnungen ziehen und müssen nicht mehr um vier Uhr morgens aufstehen, um mir pünktlich nach meinem zweifachen Rückwärtssalto mit Schraube vom 3-Meter-Turm meinen Latte Macchiato servieren zu können.

Sea Point für alle! Vor allem auch für die Arbeiterklasse!

  1. Tafelberg site: Battle for justice, inclusion, right to the city at ConCourt ↩︎
  2. 355 Main Rd – Google Maps ↩︎
  3. Concourt judgment on Tafelberg could change future of social housing | GroundUp ↩︎
  4. Housing plans for Tafelberg site revealed | GroundUp ↩︎